Offene Jugendarbeit beim Regionalverband Saarbrücken (Veronica Grindle)

Abbildung 1: Jugendzentren beim Regionalverband Saarbrücken

1.1 Trägerschaft und Rahmenbedingung

Der Regionalverband Saarbrücken ist ein Zusammenschluss von zehn Städten und Gemeinden. Er nimmt weitgehend die Aufgaben eines Landkreises wahr und ist örtlicher Träger der Jugendhilfe. Er betreibt gemeinsam mit den jeweiligen Standortgemeinden 15 Jugendzentren. Diese sind seine einzigen eigenen Einrichtungen. Sieben dieser Einrichtungen befinden sich in der Landeshauptstadt Saarbrücken an Standorten mit verdichteten sozialen Problemlagen.

Die 15 Jugendzentren sind in drei Regionen aufgeteilt: die beiden größten Jugendzentren bilden eine Region, außerdem gibt es die Regionen West und Ost. Diese werden von RegionalleiterInnen geleitet. Sie üben die Fachberatung und die Fachaufsicht für ihre Jugendzentren aus. In den beiden großen Jugendzentren gibt es eine Hausleitung, die diese Aufgaben übernimmt. Die Regionen sind in die Abteilung Kinder- und Jugendarbeit eingebunden. In der Abteilung werden außerdem noch die Aufgaben der Jugendpflege und die Förderung freier Träger nach den Richtlinien des Regionalverbandes Saarbrücken wahrgenommen. Die Gesamtverantwortung für die Aufgabenwahrnehmung der Abteilung Kinder- und Jugendarbeit obliegt der Abteilungsleitung.

Alle Einrichtungen sind mit pädagogischen Fachkräften, in der Regel SozialpädagogInnen personalisiert. Je nach Sozialraum- und Standortgröße arbeiten ein bis vier hauptamtliche Mitarbeiterinnen in den Jugendzentren. Die MitarbeiterInnen arbeiten organisatorisch und planerisch in Teams, außer in den beiden Einrichtungen mit eigener Hausleitung. Eine paritätische Besetzung der Stellen mit Frauen und Männern wird angestrebt, ist allerdings nicht überall umgesetzt.

Neben den hauptamtlichen MitarbeiterInnen arbeiten PraktikantInnen, duale StudentInnen und FreiwilligendienstlerInnen in den Jugendzentren. Alle Einrichtungen verfügen über einen eigenen Haushalt für den pädagogischen Betrieb und die Wiederbeschaffung von Materialien.Die Jugendzentren bieten jeweils ca. 30 Stunden Kontaktzeit pro Woche an. Zehn Stunden Vorbereitungszeit stehen den MitarbeiterInnen für die Planung, Reflexion und Organisation, für Besprechungen, sowie Netzwerkarbeit zur Verfügung.

Neue MitarbeiterInnen der Jugendarbeit durchlaufen 12 Einarbeitungsmodule zu zentralen fachlichen und organisatorischen Fragen der Jugendarbeit. Für die gemeinsame fachliche Entwicklung finden jährlich mehrere sogenannte Montagskonferenzen und ein zweitägiges Juz-Seminar statt. Innerhalb einer Region findet monatlich eine Regionalkonferenz statt, die dem Austausch und der kollegialen Beratung dient. Für die Erarbeitung der Hauskonzeption und Jahresplanung stehen jährlich drei Arbeitstage zur Verfügung. Darüber hinaus haben die MitarbeiterInnen die Möglichkeit Fortbildungsveranstaltungen zu Themen der Jugendarbeit zu besuchen.

1.2 Leitideen

Mit den fünfzehn kommunalen Jugendzentren bieten wir jungen Menschen ab zehn Jahren Raum, ihre Freizeit in einem freiwilligen Rahmen weitgehend selbstbestimmt zu organisieren und zu verorten. Die Orientierung an den Interessen, Themen und Bedürfnislagen der Mädchen und Jungen, die Achtung ihrer Gesellungsformen, sowie ihre möglichst weitgehende Einbindung in alle sie betreffenden Belange und Entscheidungen, sind handlungsleitende Prinzipien unserer Arbeit.

So sind die Jugendzentren nicht nur attraktive Treffpunkte, wo Jugendlichen unterschiedlicher kultureller und jugendkultureller Zugehörigkeit Wertschätzung und Anerkennung entgegengebracht und ein gleichberechtigtes Miteinander gefördert wird. Hier können Jugendliche nicht nur ein, in der Regel kostenloses, Freizeitangebot im spielerischen, sportlichen, kulturellen, medialen und musischen Bereich nutzen. Die Jugendzentren sind darüber hinaus auch Orte, die Aneignung und Gestaltung ermöglichen, wo ihnen Beteiligung gestattet aber auch zugemutet wird.

Partizipation und Mitgestaltung als Alltagspraxis

Dadurch, dass die Jugendzentren von Einzelpersonen, Mädchen und Jungen, unterschiedlichen Gruppen, mit zum Teil sogar konträren Interessen genutzt werden, sind Aushandlungsprozesse erforderlich. Hier erleben junge Menschen eigene Interessen in sozialen Kontexten. Sie werden angeregt, sich und ihre Anliegen ernst zu nehmen und diese zu formulieren. Sie müssen aber auch Interessen Anderer anhören und respektieren. Sie erfahren Unterstützung oder Abgrenzung, können bzw. müssen Entscheidungen herbeiführen, mittragen oder aushalten. Letztendlich werden Entscheidungen dann auch gemeinsam gestaltet und umgesetzt. Um die Rechte Anderer zu wahren, müssen Kompromisse geschlossen werden, müssen den Beteiligungsmöglichkeiten Grenzen gesetzt werden und Konflikte ausgetragen werden.

„Jugendarbeit bewegt Jugendliche nicht zu Partizipation. Sie sieht sie vielmehr als Akteure, denen sie Teilhabemöglichkeiten vermittelt. Dadurch hat sie eine bürgerschaftliche Qualität. Jugendliche können ihre Beteiligungsspielräume in der Jugendarbeit als zivilgesellschaftliches Klima erleben und Bürgerschaftlichkeit inkorporieren.“ (Schröer 2006, S. 200)

Damit hat Jugendarbeit das Potential, die Entwicklung der Jugendlichen zu selbständigen, gemeinschaftsfähigen und mündigen Persönlichkeiten zu unterstützen. Das ist in der Arbeit mit der Zielgruppe „Adoleszente“ mitunter sperrig und eigensinnig, zumal das Hineinwachsen in die Erwachsenenwelt mit konsequenter Abgrenzung gegen deren Werte verbunden sein kann und, weil die lebendigste Möglichkeit, an den Interessen von Jugendlichen anzuknüpfen, die ist, Konflikte mit ihnen zuzulassen und auszutragen.

Soziales Lernen, Identitätsbildung und Vergemeinschaftung

 In der Jugendarbeit begegnen sich Jugendliche unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechts und unterschiedlicher jugendkultureller Orientierung. Dies geschieht in der Regel in gemischten Konstellationen, was Herkunft und auch Bildungsstatus angeht. In vielen Jugendzentren sind jugendliche Gruppierungen anzutreffen, die sich sonst eher aus dem Weg gehen würden. Je heterogener eine BesucherInnstruktur ist, umso spannender kann ein Jugendzentrum für die TeilnehmerInnen sein. In der Jugendarbeit können Jugendliche sich in vielerlei Hinsicht erproben. Sei es im Umgang mit dem eigenen oder anderen Geschlecht, spezifischer Geschlechterrollen, in Beobachtung und Aktivität, Engagement oder „Chillen“ sowie im Eingehen von Verbindlichkeiten oder Distanzierungen.

„Die Beziehungen und Rollen der Jugendlichen untereinander sind nicht festgelegt. Gerade in den daraus entstehenden kleinen Auseinandersetzungen liegen besondere Chancen der informellen Bildung. Denn Probebühnen für erfolgreiches Rollen(ver)handeln sind für Kinder und Jugendliche notwendig aber selten.“ (Müller et al. 2005, S.70)

1.3 Pädagogische MitarbeiterInnen

In den pädagogischen MitarbeiterInnen finden Jugendliche Erwachsene, die ihnen ein professionelles Beziehungsangebot machen. Dabei befinden sie sich in einer Doppelrolle: „als Erwachsene zum Anfassen und PartnerIn in einer persönlichen Auseinandersetzung und als RepräsentantIn und DienstleisterIn in einer Freizeiteinrichtung, die Respekt für diese Aufgabe fordern muss“ (Müller et al. 2005, S. 61).

Dabei ist es für die Offene Jugendarbeit konstitutiv, dass die MitarbeiterInnen mit ihren Interventionen sparsam umgehen und so tun, als würden sie bei den Aktivitäten der Jugendlichen mitmachen als „der Andere unter Gleichen“ (Cloos et al. 2009, S.169). Die  MitarbeiterInnen beziehen „…regelmäßig Stellung zu den Äußerungen, Bewertungen und Handlungen der Jugendlichen“ und machen „sich als Person mit bestimmten Wertehaltungen und Normvorstellungen“ (ebd.) sichtbar. Die MitarbeiterInnen verstehen sich als BildungsarbeiterInnen, die ihr Arbeitsfeld als „Gelände mit Bildungschancen“ (Müller et al 2005) wahrnehmen und sensibel jugendliche Selbsttätigkeit begleiten. Dazu ist Empathie sowie ein spezifisches Wissen und Können Grundvoraussetzung. Sie „…müssen, um Jugendliche zu fesseln, Unterforderung ebenso vermeiden wie überfordernde Zumutung“ (Hafeneger 2004, S. 188). „Sie sind Drehpunkt- oder Brückenperson für Unterstützung, Rückhalt, Anerkennung und Feedback in Übergängen“ (ebd.).

Dabei erkennen die MitarbeiterInnen die Themen der Jugendlichen, erkennen diese an und greifen sie durch Interventionen auf oder versuchen ihnen pädagogische Antworten auf ihre Themen zu geben. Sie inszenieren als kluge, intelligente Arrangeure Jugendarbeit als Ermöglichungs- und Anerkennungskultur für Jugendliche (vgl. Hafeneger 2004, S. 187/ Böhnisch 2011, S. 64). Die MitarbeiterInnen haben die Aufgabe Zugänge zu den Angeboten der Offenen Jugendarbeit zu schaffen und diese auch offen zu halten. Dabei müssen sie eine Sensibilität dafür entwickeln, wann sie auf Jugendliche zugehen, wann sie Ausschlüssen entgegen wirken und wann sie Diskontinuität ermöglichen müssen.

1.4 Konzeptionelles Arbeiten

Die Kinder- und Jugendarbeit beim Regionalverband Saarbrücken gründet auf einer allgemeinen Rahmenkonzeption. Daneben erarbeiten die Teams jährlich Hauskonzeptionen für die jeweiligen Einrichtungen. Während die Hauskonzeptionen von ihrer Struktur her beibehalten werden sollen, steht für die Rahmenkonzeption derzeit eine Überarbeitung an, da sie für aktuelle Jugendarbeit zu wenig Alltagstauglichkeit hat. Diese Überarbeitung  soll im Zuge dieses XENOS-Projektes geschehen. Das Ziel, mehr Alltagstauglichkeit für die Praxis zu gewinnen, soll durch die intensive Lebensweltanalyse im Projekt erreicht werden.

Die Hauskonzeptionen sind sozialräumlich, lebenswelt- und milieuorientiert angelegt. Die Interessen und Bedürfnisse der Jugendlichen und ihre biographischen Etappen sollen der Ausgangs- oder Anknüpfungspunkt der Planung und Organisation von Jugendarbeit sein. Dabei sollen nicht nur die BesucherInnen der Einrichtungen berücksichtigt werden, sondern auch die nicht erreichten oder interessierten Jugendlichen in den Sozialräumen.

Die Jugendzentren sind aufgefordert den Sozialraum, in dem sich ein Jugendzentrum befindet, unter Anwendung sinnvoll kombinierter Methoden der Sozialraumanalyse (z.B. socialnet GmbH 2013) in den Blick zu nehmen. Dadurch sollen die MitarbeiterInnen nachvollziehen können, wer überhaupt AdressatIn von Angeboten der Offenen Jugendarbeit sein könnte, welche verschiedenen jugendkulturellen Orientierungen im Sozialraum vertreten sind und welche Qualität der Sozialraum für das Heranwachsen junger Menschen hat.

Dies soll ermöglichen, dass die MitarbeiterInnen die Lebenswelten von Jugendlichen in und außerhalb eines Jugendzentrums im Blick haben und verstehen. Außerdem können die MitarbeiterInnen ihren Überblick über Angebote, die es neben den eigenen gibt, aktualisieren und erkennen, wo Lücken sind, wo Probleme auftreten und wo z.B. eine Lobbyarbeit für Jugendliche wichtig wäre.

Erst im Anschluss an diese Analyse soll überlegt werden, wer Zielgruppe des eigenen Angebotes sein soll. Die Zielgruppenfestlegung hat in der Praxis häufig einen hohen Ausschlusscharakter, der maßgeblich durch Distinktionen unter den Jugendlichen entsteht. Daher müssen die MitarbeiterInnen bei der Zielgruppenfindung priorisieren, wer in der Einrichtung, wer durch herausreichende Angebote und wer durch koordinierte Angebote der Netzwerke im Sozialraum angesprochen werden soll.

In den Sozialräumen mit verdichteten sozialen Problemlagen sprechen unsere MitarbeiterInnen insbesondere nicht-privilegierte Kinder und Jugendliche an und eröffnen ihnen Zugänge zu unseren Häusern. Hier liegt der Schwerpunkt der Arbeit auf einem beziehungsgestützen Angebot. Wir erachten dies als eine besonders sinnvolle Schwerpunktsetzung, weil gerade nicht priveligierte junge Menschen oftmals keine erwachsene Unterstützungsperson in ihren persönlichen Netzwerken haben. MitarbeiterInnen der Jugendarbeit können diese fehlende Unterstützungspersonen sein. Wir können ihnen mit unseren Häusern Gesellungs- und Aneignungsräume anbieten, die ihnen ansonsten eher fehlen.

Die herausreichende Arbeit versteht sich als Kontaktpflege, Animationsangebot im öffentlichen Raum und Interessenvertretung für Jugendliche, die ihre Freizeit lieber im öffentlichen Raum verorten oder in ihrer Freizeit nicht ständig von Erwachsenen belagert sein wollen. Anders, als in anderen Konzeptionen kommuniziert, ist hierbei weder Streetworking, noch Jugendsozialarbeit gemeint. Wir verstehen hinausreichende Jugendarbeit oder auch aufsuchende Jugendarbeit als eine Jugendarbeit, die sich in den öffentlichen Raum begibt.

Der Dritte Schritt, der mit der Zielgruppenfestlegung verbunden ist, ist die Koordination der Angebote der Jugendarbeit und der sonstigen Freizeitangebote innerhalb des Sozialraums mit dem Ziel, möglichst viele junge Menschen mit den Angeboten offener Jugendarbeit anzusprechen.

Die Sozialraumanalyse öffnet den Planungshorizont hin zu einer Planung über den eigenen Tellerrand hinaus. Dadurch hat die Jahresplanung der Jugendzentren immer auch ein innovatives Potenzial. Die Zielgruppenfestlegung bedeutet oftmals weniger ein Eingrenzen sondern vielmehr ein Ausweiten der Zielgruppe. Sie weckt Überlegungen, wie Zugänge zu Jugendlichen oder zum Jugendzentrum geschaffen und wie Brücken zwischen verschiedenen Jugendgruppierungen angelegt werden können.

Aus der Zielgruppenfestlegung, die nicht als Widerspruch zur Offenheit zu verstehen ist, resultieren Ziele für das kommende Planungsjahr. Dabei erfolgt die Planung entlang der Themen, die von den Jugendlichen eingebracht werden. Dies sind natürlich ganz vorrangig Wünsche und Anliegen der Jugendlichen. Es können aber auch pädagogische Interventionen oder Antworten auf Themen sein, die Jugendliche durch Äußerungen, Verhalten und Interaktion in die Jugendarbeit hineintragen. Zielformulierungen für individuellen Unterstützungsbedarf regen an, sich auf den Bedarf fachlichen Spezialwissens vorzubereiten oder hierfür sinnvolle Kooperationen anzubahnen.

Planung in diesem Sinne heißt, den Anliegen von Jugendlichen Raum zu geben, Vorhaben zeitlich zu strukturieren und zu priorisieren, damit sie gelingen (und finanziert werden) können.

Planung heißt auch,

  • einen Überblick über Dynamiken innerhalb des eigenen Tätigkeitsfeldes zu erhalten und Ideen zu entwickeln, wie in diese steuernd eingriffen werden kann.
  • Leitideen für ein Jahr haben zu dürfen und diese in die Jugendarbeit einzubringen. Allerdings legen wir Wert darauf, dass die Orientierung an den Interessen der Jugendlichen die Planung deutlich dominiert!
  • Unterstützungsbedarf zu erkennen und diesen anzubieten.
  • Jugendarbeit erklär- und verhandelbar zu machen.
  • Distanz zu schaffen, die hilft, sich aus Alltagsroutinen zu befreien und…

 …dass es ganz anders kommt.

1.5 Bildungschancen in der Jugendarbeit

Bildung in Freiheit zur Freiheit

Unsere hauptamtlichen MitarbeiterInnen verstehen sich vorrangig als präsente und verlässliche Bezugspersonen mit der Kompetenz reflexiver Zurückhaltung. Nicht sie setzen die Themen, die in der Jugendarbeit behandelt werden. Vielmehr sind sie in der Lage die Interessen der Jugendlichen wahrzunehmen und zu diesen eine pädagogische Intervention oder Antwort zu entwickeln. Dies „…rückt die Offenheit einer Bildungsstruktur in den Mittelpunkt, die im Gegensatz zu anderen Bildungseinrichtungen und –arrangements ihre Aufgabe darin sieht, von der Lebensbewältigung der Jugendlichen auszugehen“ (Schröer 2006, S.193).

Förderung der Selbstauffassungsarbeit von Jugendlichen

Der Bildungsauftrag durchzieht die Jugendarbeit in ihrer Gesamtheit. Er ist nicht verengt auf Angebotseinheiten, wo es dann um Bildung gehen soll. Vielmehr ergeben sich aus den räumlichen Gegebenheiten, den zur Verfügung stehenden Materialien, den Gesellungskonstellationen, den Interaktionen der Jugendlichen oder aus ihren Beiträgen oder Fragestellungen ständig Gelegenheiten für informelle Bildung. Hieran knüpfen die pädagogischen MitarbeiterInnen an. Sie begleiten die Jugendlichen bei ihren Selbstbildungsprozessen, greifen deren Themen oder Fragen auf und beantworten diese mit Anstößen für Bildungsprozesse. In einem solchen Setting kann Jugendarbeit als Frei-Raum bezeichnet werden, der für Bildung funktional ist (vgl. Sturzenhecker 2007, S.18).

Hat Jugendarbeit den Auftrag, Jugendliche zu erziehen, ihnen Werte zu vermitteln, sie aus- und weiterzubilden, ihnen Schlüsselqualifikationen zu vermitteln, sie von der Straße wegzuholen, ihnen unerwünschtes Risikoverhalten abzugewöhnen oder ihnen zu helfen, die Entwicklungsaufgaben des Jugendalters zu lösen?

Hat sie nicht, aber:

„Jugendarbeit kann zu all diesen Aufgaben einen praktischen Beitrag leisten und tut das auch. Sie kann es aber nur, wenn sie gerade diese Aufgaben nicht zu ihrem Ausgangspunkt nimmt, sondern sich immer nur fragt: Womit setzen sich meine Adressaten aktuell auseinander und welche Angebote helfen, damit diese Auseinandersetzung produktiv wird?“ (Müller 2004, S.42)

Dieses Bildungsverständnis steht in der Tradition des humanistischen Menschenbilds und geht von der Selbsttätigkeit von Bildung, der Interessenorientierung und der Ergebnisoffenheit aus. Damit buchstabiert die Kinder- und Jugendarbeit beim Regionalverband Saarbrücken den gesetzlichen Auftrag, wie er in § 11 SGB VIII formuliert ist, aus: ein offenes, interessenorientiertes Angebot der Förderung, das von den Kindern und Jugendlichen mitbestimmt und mitgestaltet wird.

Die Praxis von Jugendarbeit eröffnet Anlässe zu emanzipatorischer Bildung. Sie regt zu einem offensiven Nachdenken über Möglichkeiten der Lebensgestaltung und des sozialen Zusammenlebens an. Sie stellt die biographischen, kulturellen, politischen Suchprozesse der Jugendlichen nicht still, sondern begleitet und unterstützt sie (vgl. Scherr 2004, S.101).

1.6 Teilhabechancen durch Angebote der Jugendarbeit

Gemeinschaftsfähigkeit und soziales Engagement

Unsere Grundhaltung zu Jugendarbeit ist die Idee beteiligender Aushandlung und Mitgestaltung als Alltagspraxis. Partizipation als Alltagshandeln der Jugendarbeit gibt der Selbsttätigkeit und Handlungsfähigkeit von Jugendlichen Raum. Partizipation macht das Eingebundensein in ein soziales Gefüge erlebbar und ermöglicht Jugendlichen die Erfahrungen gelebter Demokratie.

Teilhabe durch Anerkennung

„Offenheiten und Ungewissheiten bestimmen heute mehr denn je die Übergänge im Jugendalter. Lebensbewältigungskompetenzen, Selbstwert, Anerkennung und Selbstwirksamkeit sind bedeutende Komponenten, die neben Qualifikationen zum Gelingen von Übergängen beitragen.“ (Böhnisch?) Jugendarbeit hilft, durch die Entwicklung von Anerkennungsstrukturen jenseits von Schulerfolg oder Erwerbsarbeit, bei der Bewältigung biographischer Brüche.

Jugendarbeit setzt sich produktiv mit Pubertät und Adoleszenz als Thema auseinander. Krisenhafte Verläufe sieht sie als positive Provokation. Jugendarbeit mit ihren eigenen Räumen, Orten und Zeiten hat keine Skepsis und Besorgnis gegenüber unpassenden, unkontrollierten, nichtpädagogischen Verhaltensweisen. Sie erkennt den Alltag und die Lebenswelt der jungen Menschen an und wertet sie nicht ab (vgl. Hafeneger 2004, S. 187). Damit schafft sie ein Anerkennungsverhältnis. Jugendarbeit bietet auch den spröden Auswüchsen des sich Ausprobierens Raum.

In der Jugendarbeit können Jugendliche Grenzen überschreiten, ohne dass es sofort zum Ausschluss kommt. Sie können Verantwortung übernehmen und dabei auch scheitern, ohne dass dies biographische Folgen hat. Sie erfahren Handlungsfähigkeit und Selbstwirksamkeit im positiven und im negativen Sinne, wobei sie jederzeit eine Kurskorrektur vornehmen können. In diesem Prozess begleitet Jugendarbeit Jugendliche bei ihrer Identitätsentwicklung in einem geschützten Rahmen.

Jugendarbeit regt Jugendliche an, sich mit ihren Chancen und Beschränkungen oder Barrieren sowie mit ihren Potenzialen und Ressourcen auseinanderzusetzen. Das gibt jungen Menschen Raum, neue, andere Lebensperspektiven und Träume zu entwickeln und ihre eigene Idee von einem guten Leben zu verfolgen.

Kinder- und Jugendarbeit schafft Freiräume für die Entwicklung von Ideen, das Entdecken von Interessen und das Erkennen von Fähigkeiten. Sie kann einen Ort bieten für das Formulieren, Verhandeln, Durchsetzen und Verwirklichen von Interessen sowie für das Erleben von Handlungsfähigkeit, Selbstwirksamkeit und Autonomie (vgl. Oelkers 2011, S.13f.).

Teilhabe durch Engagement

Offene Jugendarbeit bietet nicht privilegierten Jugendlichen niedrigschwellige und professionell begleitete Gelegenheiten für die Übernahme von ehrenamtlichem Engagement. Sie ermöglicht ihnen Verantwortungsübernahme, die in sonstigen Lebensbezügen nicht erreichbar wäre oder ihnen nicht zugetraut würde. Indem nicht privilegierte Jugendliche sich ehrenamtlich engagieren überschreiten sie sinnbildlich eine Milieugrenze. Denn Ehrenamtlichkeit ist eigentlich dem bürgerlich situierten Milieu vorbehalten. Jugendarbeit könnte also hypothetisch betrachtet ein Arbeitsfeld sein, „…in dem Jugendliche Milieugrenzen überschreitende Erfahrungen machen und ein positives Selbstgefühl als aktiv handelnde Personen aufbauen können, das auf der Erfahrung der eigenen produktiven Kräfte gründet. Enthalten ist darin auch eine Chance zur Überwindung negativer Selbstkonzepte hin zu einer produktiven Orientierung…“ (Maul, Lobermeier 2011, S. 11).